18. September 2015

INTERVIEW

´Ich wollte immer schon hören, was die Erde mir zu sagen hat´

erde in gal sammeln

Das Interview führten Ulrike Dörner und Michaela Kischning vom Kulturnetzwerk Neukölln e.V. (Herbst 2010)

Li Koelan wurde in den Niederlanden geboren. Sie studierte von 1981 bis 1986 Malerei und Skulptur an der Hochschule für Bildende Künste St. Joost in Breda. Li Koelan wohnte und arbeitete neun Jahre in Antwerpen und seit 1999 ist Berlin mehr oder weniger ihr „Zuhause“. Sie sagt über sich selbst: „Mein Leben ist eine Seite aus einem immens großen Buch. Ich kann einfach nicht aufhören, dieses Seite zu lesen beziehungsweise sie zu entziffern. Obwohl ich mittlerweile jeden einzelnen Buchstaben kenne, sind die Sätze immer noch wie brüchige Fäden in einem unzugänglichen Gewebe.“ Sie versucht, dieses Chaos in eine Form zu bändigen. Dabei spielt ihr Beruf als Künstlerin die Hauptrolle. Oft gibt Li Koelan ihren Arbeiten und Projekten letztendlich einen Platz innerhalb einer mehr spezifischen Kollektion. Sie betreibt in der Weichselstraße 52 in Neukölln die kleine Galerie „Kunstraum Art-Uhr“.

Li Koelan, abgesehen davon, dass Du Niederländerin bist und seit neun Jahren überwiegend in Berlin lebst, hat Dein Projekt „Die Erde ist unteilbar“ sehr viel mit dem Thema „Integration“ zu tun. Bevor wir über dieses Projekt reden, zuerst die Frage: Wie ergeht es Dir mit Deinem Migrationshintergrund hier in Berlin und was verstehst Du persönlich unter dem Begriff „Integration“?

Li Koelan: Mit meiner Migration hat es 1982 angefangen. Ich studierte an der Akademie der Künste in den Niederlanden und war mit einer Ausstellung in Berlin. Ich hatte bereits nach ganz kurzer Zeit das Gefühl: „Wow, hier wohne ich! Hier bin ich zu hause!“ Das hatte paradoxerweise ganz viel mit dem Krieg zu tun, denn in meiner Familie ist sehr viel darüber gesprochen worden und mich hat es auch sehr interessiert. Hier in Berlin war es dann für mich ganz konkret: das war kein Film mehr, kein Buch – die Einschusslöcher in den Wänden der Häuser waren Realität. Der Krieg war dadurch immer noch zu sehen, es hat mir auch Angst gemacht, aber eben auch das Gefühl gegeben, dass ich hierhin gehöre. Bis ich endgültig nach Berlin zog, das hat dann doch noch eine Weile gedauert. Ich habe in den Niederlanden auch Skulptur studiert und meine Abschlussarbeit 1986 war über die Berliner Mauer. Mein ehemaliger Professor hat damals schon zu mir gesagt: „Li, die Mauer wird fallen!“ Ich habe erwidert: „Das wird nie passieren“ und drei Jahre später war sie weg. Endgültig nach Berlin gezogen bin ich dann 1999 und mein erster Eindruck war damals, dass die Berliner ganz schön frech sind. Ganz anders als in den Niederlanden und ich war am Anfang nicht ganz sicher, ob es mir wirklich gut gefällt hier. Ich hatte erhebliche Schwierigkeiten damit. Jetzt habe ich mich daran gewöhnt und kann darauf reagieren. Ich habe einfach gemerkt, dass es ein großer Unterschied ist, ob man hier zu Besuch ist oder hier lebt.

Wo wir gerade bei den Unterschieden sind: Du hast ein Projekt mit dem Titel „Haar“ entwickelt. Damit hattest du hier erhebliche Schwierigkeiten. Welche waren das genau?

Li Koelan: Ich habe das Projekt „Haar“ 1996 in den Niederlanden an verschiedenen Orten und auch in Antwerpen und Brüssel gezeigt. Das war ein interessantes Projekt, zumal es nicht nur um Haare selbst ging, sondern um die Begrifflichkeit. Daher wollte ich das Projekt auch in Berlin zeigen, hatte aber nie die Absicht, damit eine Verbindung zum Krieg herzustellen. Das ist mir erst hier in Berlin klar geworden, was mich auch sehr erschreckt hat. Denn in den Niederlanden steht der Begriff „Haar“ für alles weibliche, welches auch der Leitfaden in meiner Arbeit war. „Die Haare in meinen Händen“ oder auch „sich die Haare raufen“, das war etwas ganz persönliches, etwas was mit meiner Person zu tun hatte. Ich habe dieses Ausstellung hier in Berlin dann ein paar Kuratoren gezeigt, die sie mit den Worten „das hat überhaupt nichts mit Kunst zu tun“ ablehnten. Ich habe darüber noch mit diversen Kunsthistorikern diskutiert, unter anderem mit einer jüdischen Kuratorin, die mir sagte, dass es die schönste Ausstellung sei, die sie je gesehen hätte. Das hat mich wieder sehr erstaunt, aber auch gefreut. Als ich 2008 diese Räume hier in der Weichselstraße gemietet hatte, wollte ich dann doch mal herausfinden, welche Reaktionen es auf die Ausstellung geben würde. Ich habe die Ausstellung „Haar“ hier gezeigt und es gab durchweg sehr positive Resonanzen, auch in der Presse.

Wir sind jetzt ein bisschen von unserem Thema abgerückt, deshalb noch einmal die Frage: Was verstehst du persönlich unter dem Begriff „Integration“?

Li Koelan: Also, ich habe vor unserem Gespräch unter Wikipedia nachgeschaut, weil der Begriff sehr viel Verwirrung hervorruft. Für mich ist dieses ursprüngliche „integer“, aus dem Griechischen, das wichtigste an dem Wort „Integration“. Das bedeutet „unberührt“, „unbefleckt“, „unverdorben“ und auch „ehrlich“. Im Lateinischen wird es dann „integro“ und das bedeutet „Wiederherstellung“. Es ist also mit dem Wort etwas passiert. Mir ist aber das griechische Wort „integer“ lieber, weil es souveräner ist. Das hat sicher etwas mit meinem Beruf als Künstlerin zu tun, also „souverän“ in dem Sinne, dass man mit allem verbunden ist und es zu einem Ganzen zusammen gefügt wird. Also nicht wiederherstellen, sondern alles ist schon da. Um es zusammen zu fassen: „Die Erde ist unteilbar“. Und diese Erde haben wir alle gemeinsam und sie ist auch letztendlich unsere Verbindung. Deshalb habe ich auch das Projekt „Die Erde ist unteilbar“ konzipiert und es lebt von den „ErdenträgerInnen“.

Damit sind wir schon mitten in der nächsten Frage: Kannst du uns das Projekt „Die Erde ist unteilbar“ bitte kurz beschreiben und auch erzählen, was du in den letzten zwei Jahren damit erlebt hast?

Li Koelan: Ich selber habe eine ganz starke Verbindung zur Erde. Das muss man zuerst vorausstellen. Ich habe bereits als Kind mit dem Ohr auf der Erde gelegen, um zu hören, was mir die Erde zu sagen hat. Vielleicht liegt es auch daran, dass meine Großeltern Bauern waren, dass ich so erdverbunden bin. Ja, und 2008 war bei den 48-STUNDEN-NEUKÖLLN das Motto „Humus“ und da hier in Neukölln so viele Menschen aus verschiedenen Ländern wohnen, kam mir die Idee, Erde aus den Ländern zu sammeln. Zuerst habe ich im Büro für Statistik nachgefragt, aus wie vielen Ländern die Menschen hier in Neukölln stammen. Man war dort sehr kooperativ. Ich habe nicht nur erfahren, dass es ungefähr 160 Nationen sind, sondern auch wie viele Menschen aus den einzelnen Ländern kamen. Ja, aber wie komme ich jetzt an die Erde? Ich nahm Kontakt auf zu den Migrantenvereinen und habe die Projekt-Idee, Erde aus all diesen Ländern zu sammeln und auszustellen, an alle Botschafter in einem persönlichen Brief geschickt, in dem ich ihnen mitteilte, dass ihr Land mit so und so vielen Menschen hier in Neukölln vertreten ist und dass ich so genannte „ErdenträgerInnen“ suche. Konkret heißt das: ich möchte Erde aus allen diesen Ländern in Gläsern ausstellen, die die Menschen von einem Besuch aus ihrer Heimat mitbringen. Und ergänzend dazu sollen sie auch eine Tageszeitung aus ihrer Region zufügen. Die erste Reaktion kam aus der Botschaft von Estland: sie fanden die Idee wunderschön. Ich hatte aber die Briefe im März verschickt, deshalb baten sie um etwas Aufschub, weil die Erde in Estland im März noch gefroren ist. Im Sommer würden sie dann gerne Erde schicken. Ich geriet so langsam in Panik, weil das Ausstellungsdatum feststand (48-STUNDEN-NEUKÖLLN) und ich wollte doch mindestens 20 oder 30 Gläser mit Erde zeigen. Also bin ich an die Goethe-Institute herangetreten. Auch da war die Resonanz groß, denn die Direktoren dieser Institute reisen viel, beziehungsweise kommen öfter nach Berlin. Da waren Goethe-Institute aus Mali dabei und auch aus Djakarta. Zur Ausstellungseröffnung im Juni 2008 hatte ich dann 33 Gläser mit Erde aus verschiedenen Ländern und auch sehr viele Zeitungen. Ich hatte für die Installation zwei große Schränke mit ungefähr 160 Fächern bauen lassen, damit man auch sah, wie viele Länder noch fehlten. In den Schränken standen dann 33 Gläser mit Erde und ich habe zusätzlich auf einen Tisch kleine Tellerchen mit jeweils einem Löffel Erde gestellt, um zu zeigen, wie unterschiedlich die Erde auch ist. Unter den Besuchern waren dann auch etliche Mitarbeiter von Instituten, die dann sofort gesehen haben, aus welchen Ländern noch Erde fehlte. Um es kurz zu sagen: die Reaktionen waren überwältigend und ich bekomme immer noch Erde, um die Ausstellung zu vervollständigen.

Welcher Aspekt dieser Aktion war beziehungsweise ist dir besonders wichtig?

Li Koelan: Die Verbindung zur Erde zu spüren und dass jeder die Verbindung zurück spürt. Dass die Erde unserer aller Mutter ist und auch lebensgebende Kraft ist, das ist mir wichtig. Und auch, dass man das nicht besonders erklären muss. Und dadurch, dass die Gläser mit Erde hier bei mir stehen, bekomme ich so etwas wie Lust auf andere Länder. Ich bekomme durch diese Erde eine ganz besondere Beziehung zu den Menschen dieser Länder. Darum ist es auch eines meiner Lieblings-Projekte.

Eine letzte Frage: In den Niederlanden ist es ja ähnlich, da geht auch ein „Rechtsruck“ durch die Bevölkerung. Wie siehst du als Niederländerin die Debatte, die hier zum Thema „Integration“ geführt wird?

Li Koelan: Es wird sicher ganz viel versucht, das ist wichtig. Aber auch in den Niederlanden, mit dem Wilders, wir können uns, glaube ich, gar nicht vorstellen, wie rechtsradikal der ist. Das ist unglaublich. Man kann es auch nicht nur auf Neukölln, beziehungsweise Berlin beschränken. Das Problem besteht, so kommt es mir vor, in ganz vielen europäischen Ländern. Ich denke, das sind so die letzten Krämpfe eines Systems, das zusammen bricht. Dazu gehört auch die Finanzkrise, das ganze System kollabiert. Trotzdem müssen wir da irgendwie seriös mit umgehen und müssen auch Alternativen dazu finden. Ich persönlich versuche, so wenig Energie wie möglich in dieses alte System zu stecken, sondern ich sammle meine Kraft für neue Wege.

Das war ein schöner Schlusssatz und wir bedanken uns herzlich für das Gespräch.